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Modul 4

Männerfreundschaften

Modul 4

Männerfreundschaften

„Ich hatte nie wieder solche Freunde wie damals als ich 12 war. Aber, mein Gott, wer hat die schon?“

Diese Frage, gestellt von Gordie Lachance im 1986 erschienenen Spielfilm „Stand By Me“ erfasst zwei thematisch bedeutende Faktoren zugleich: zum Einen den Umstand, dass nachhaltig bestehende Freundschaften zwischen Erwachsenen etwas Besonderes sind. Zum Anderen schwingt in dieser Äußerung gleichzeitig eine gewisse Sehnsucht nach einer ebensolchen Freundschaft mit. Speziell auf Männer bezogen lässt sich die Existenz solcher Freundschaften auch in Zahlen ausdrücken: „Maximal zehn Prozent haben eine authentische, enge Männerfreundschaft. Die große Mehrheit hat allenfalls Bekanntschaften, bei denen die Welt nicht untergeht, wenn man sie aus den Augen verliert.“ 1

Die Sehnsucht nach einem guten Freund ist unterschwellig häufig vorhanden, es fällt erwachsenen Männern jedoch schwer, freundschaftliche Beziehungen zu anderen Männern aufzubauen, zu gestalten und zu pflegen. Hier spielen unterschiedliche Faktoren hinein, welche im Einzelnen reflektiert werden sollten. Männer lernen Männer vor allem in oft „männlich“ geprägten Bereichen wie Arbeit, Sportverein oder Kneipe kennen. In diesen Kontexten sind häufig Verhaltensweisen üblich, die oberflächlich und oft auch konkurrenzorientiert sind. Emotionale Offenheit macht hier angreifbar, wird belächelt oder veralbert, der Aufbau emotionaler Bindungen so erschwert. Karriere und Beruf dominieren oft die Prioritätenliste, Leistungs- und Zeitdruck lassen somit wenig Raum für soziale Interaktionen außerhalb einer eventuellen Partnerschaft.

Auch führen Vorurteilshaltungen gegenüber Homosexualität (welche als weiblich und damit als unmännlich gilt) dazu, dass Männer sich scheuen einander überhaupt Zuneigung zu zeigen. „Je intensiver Freundschaft inszeniert wird, desto eher muss sie sich gegen den Verdacht der Homosexualität abgrenzen.“2 Dieser Umstand schürt die Angst davor, durch das zeigen von Emotionen als homosexuell „abgestempelt“ zu werden, weshalb viele Männer dann grundsätzlich darauf verzichten. Da die Erziehung vieler Männer hauptsächlich von der Mutter übernommen wurde, ist der enge Kontakt zu den Geschlechtsgenossen in einigen Fällen außerdem grundlegend ungewohnt. Frauen erscheinen Männern oft emotional kompetenter, weshalb man sich - im Grunde aus alter Gewohnheit - auf weibliche Bezugspersonen als „Ort des Trostes und Ausweinens“3 beschränkt.

Freundschaftliche Beziehungen sind von Vertrauen, Offenheit und Zuneigung geprägt und stellen durch diese Eigenschaften eine wichtige Ressource nicht nur aber besonders auch für Suchterkrankte dar.  Die wechselseitige positive Beeinflussung von sozialer und geistiger Entwicklung aufgrund von konstruktiver Auseinandersetzung mit Positionen, Meinungen und Sichtweisen von Freunden  unterstützt die kognitive Entwicklung.4 Auch in Problem- oder Belastungssituationen kann sie mitunter ausschlaggebend für  Entscheidungsprozesse sein und somit die Verhaltenstendenzen des Betroffenen positiv prägen. Freundschaften bieten einen starken Rückhalt und können in den Rehabilitationsprozess teils sogar aktiv einbezogen werden, was die bewusste Bearbeitung von eigenen Freundschaftsvorstellungen und -wünschen mit dem Betroffenen zu einem wichtigen Aspekt des Abstinenzprozesses macht.


Verweise

1 | H. Karatepe im Stern, Ausgabe 16/2001. Hamburg, S. 34-46
2 | S. Apphuhn-Radtke, E. P. Wipfler, Freundschaft: Motive und Bedeutungen. München 2006, S. 107
3 | A. Vosshagen, Anmerkung zur Psychologie männlichen Suchtverhaltens in J. Jacob, H. Stöver (Hrsg.), Sucht und Männlichkeiten. Wiesbaden 2006 

4 | Vgl. M. Waldheim, Freundschaft und ihre Bedeutung für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Hamburg 2014, S. 58